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DNV – Der Neue Vertrieb, Presseförderung, Zustellung, JPK2022

DNV-Interview: „Dramatische Bedrohung“

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MVFP-Bundesgeschäftsführer Stephan Scherzer im DNV-Interview mit Stefan Golunski über wirtschaftliche Situation der deutschen Zeitschriftenverlage, die nach Einschätzung des MVFP so schwierig ist wie noch nie | erschienen in DNV – Der Neue Vertrieb, Mai 2022

DNV – Der Neue Vertrieb, Nr. 5/2022, 19.05.2022, S. 36/37

Der MVFP fordert von der Politik finanzielle Unterstützung für die Zeitschriftenverlage. Diese solle nach einem nicht selektiven, objektiven Maßstab sowie zudem diskriminierungsfrei und ordnungspolitisch unbedenklich gewährt werden. In der Veröffentlichung des MVFP werden Sie zitiert mit der Idee, ein möglicher Ansatz dafür wäre „die Anknüpfung an versendete oder verbreitete Exemplare von Zeitungen oder Zeitschriften“. Könnten Sie das, bitte, konkretisieren?
Die Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, die Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen – also Zeitschriften und Zeitungen – zu gewährleisten. Die nicht beeinflussbaren, immensen Kosten-steigerungen insbesondere für Postzustellung, Papier und Energie sind zu hoch, um sie zusätzlich zu den ohnehin hohen Kosten der Transformation schultern zu können.
Jede diskriminierungsfreie und ordnungspolitisch unbedenkliche Förderung von Zeitschriften und Zeitungen, die den Wettbewerb nicht verzerrt, bedarf eines neutralen und objektiven Fördermaßstabes, der insbesondere nicht an redaktionelle Inhalte oder andere selektive Kriterien anknüpft. Ein Beispiel für einen solchen Maßstab wäre die um einen gattungstypischen Kostenfaktor ergänzte Zahl der zugestellten Exemplare, für die sich 2020 vier Presseverlegerverbände gemeinsam gegenüber der Bundesregierung ausgesprochen hatten. Sinnvoll könnte es gegebenenfalls sein, einfach handhabbare zusätzliche inhaltsneutrale Faktoren zu wählen. So könnten etwa bei den Zeitschriften Titel unterhalb einer bestimmten Auflage einen Aufschlagfaktor erhalten; gleiches könnte beispielsweise für Zeitungen in ländlichen Gebieten gelten.

Wäre es aus Ihrer Sicht dazu ausreichend, wenn die Zustellgebühren der Deutschen Post für Pressestücke deutlich gesenkt würden?
Nein, das wird in diesem perfekten Sturm nicht ausreichen. Die in den vergangenen Jahren über die Inflationsrate hinaus gestiegenen Postzustellkosten sind ein gewaltiges Problem, gerade weil es flächendeckend keine Alternative gibt. Auch die Kosten bei der privaten Zustellung steigen durch die Erhöhung des Mindestlohns weiter. Die enormen Papierpreissteigerungen, die exorbitant steigenden Energiepreise und die großen Schwierigkeiten, überhaupt genügend Papier zu bekommen, haben die Lage extrem verschärft. Gleichzeitig droht, wie in Polen und Bulgarien bereits geschehen, eine Verknappung von Gas. Gas wird in der Produktion von Papier und beim Druck zur Trocknung benötigt – hier gibt es keine Alternativen.
Allein in den kommenden zwei bis drei Jahren sind 30 Prozent der Zeitschriften in ihrer Existenz stark gefährdet. Das sind mehr als 2.000 von über 7.000 Zeitschriftentiteln auf dem deutschen Markt. 30 Prozent der Fachzeitschriften, 80 Prozent der konfessionellen sowie 20 Prozent der Publikumsmedien in Deutschland sind bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Branchenanalyse der Unternehmensberatung Schickler, deren Datenbasis in Kooperation mit dem VDZ, dem Vorgänger des MVFP, 2021 erhoben wurde.

Welche weiteren Elemente sollte die Förderung der Verlage umfassen?
Das aktuelle Bedrohungsszenario für einzelne Titel und ganze Verlage ist noch dramatischer als im Erhebungszeitraum 2021, als weder das Ausmaß der Mindestlohnerhöhung in 2022 noch die jüngste Papierpreisexplosion um bis zu 150 Prozent sowie die Explosion der Energiekosten um bis zu 380 Prozent für importiertes Erdgas vorhersehbar waren. Nur wenn diese Kosten für die Zeitschriften diskriminierungsfrei abgefedert werden, können wir einen nicht wieder zu behebenden Schaden für die Meinungs- und Pressevielfalt und damit die Vielfalt der Lebensentwürfe in Deutschland abwenden und die herausfordernde Transformation erfolgreich fortsetzen. Das Koalitionsvorhaben, die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten, ist deshalb absolut nötig.

In der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre hatten die Zeitschriftenverlage meist stärkere Rückgänge im Print-Anzeigengeschäft als im Print-Vertriebsgeschäft zu beklagen. Das war 2021 anders. Auch für 2022 erwarten die Zeitschriftenverleger laut Ihrer Umfrage stärkere Umsatzrückgänge im Print-Vertrieb als im Print-Anzeigengeschäft. Wie ist das zu erklären?
Prognosen sind bei der aktuellen Weltlage sehr schwierig. Wie die MVFP-Trendumfrage aber zeigt, erwarten Verlage, dass das frei verfügbare Einkommen der Konsumentinnen und Konsumenten durch die hohe Inflationsrate und die massiv steigenden Energiekosten real sinkt und sich diese Entwicklung auch negativ auf das Medienbudget der privaten Haushalte auswirkt. Hinzukommt eine durch die unsichere Lage allgemein deutlich gedrückte Konsumstimmung. Die Verlage haben in vielen Krisen gezeigt, dass sie flexibel, widerstandsfähig uns belastbar sind – deshalb sind viele bis 2021 mit einigen blauen Flecken durch die Corina-Krise gekommen. Der perfekte Sturm, den wir gerade erleben, sowie die Unsicherheit über die Dauer hat die Lage aber dramatisch zugespitzt.  

Vor allem die sogenannten sonstigen Geschäftsfelder der Verlage verzeichneten zuletzt deutliche Zuwächse – anders als die klassische Verlegertätigkeit. Muss man damit rechnen, dass die genuine Verlagstätigkeit für die Zeitschriftenverlage auf mittlere Sicht zu einem Nebengeschäft wird? Welche Folgen hätte das?
Die freie Presse ist dadurch frei, dass sie sich unternehmerisch am Markt refinanzieren kann. Die redaktionellen Angebote sind Kern, Auftrag und unternehmerisches Fundament der Mitgliedsverlage im Medienverband der freien Presse – deshalb haben wir in Deutschland die vielfältigste Zeitschriftenlandschaft weltweit. Die vertiefte private, berufliche und politische Information und Bildung der Bürgerinnen und Bürger zu allen Lebensbereichen jenseits der Tagesaktualität sind substantieller Teil unserer Mission. Damit leisten die 7.000 Zeitschriftenmedien einen mindestens ebenso einmaligen und demokratierelevanten Beitrag zur Freiheit und Stabilität unserer Gesellschaft wie die aktuelle Information der Tagespresse. Die Verlage haben in der digitalen Transformation sowohl die Erlöse aus den digitalen Quellen – Paid Content, Werbung, Transaktion – ausgebaut, als auch die bereits zum vierten Mal von der Schickler-Unternehmensberatung für uns ermittelten Umsatzerlöse in den Bereichen Veranstaltungen, Bildung, Software und Services, Stellen- und Transaktionsplattformen gesteigert. Das ist Ausdruck der Stärke, Bindung und Relevanz der Medienmarken in ihrer jeweiligen Leserschaft. Dadurch wurde die Wettbewerbsfähigkeit der Verlage gestärkt und die Transformation konnte weiter vorangetrieben werden.

65 Prozent der von Ihnen befragten Zeitschriftenverlage halten das Telefonmarketing zum Erhalt der Abonnementleserschaft für wichtig. Nun wurden im vergangenen Jahr durch das Gesetz für faire Verbraucherverträge die Unternehmen dazu verpflichtet, die erforderliche Einwilligung der Kunden zur Telefonwerbung in angemessener Form zu dokumentieren. Stellt diese Regelung aus Sicht des MVFP und seiner Mitglieder ein nennenswertes Hindernis für das Telefonmarketing dar?
Abonnements sind das publizistische und finanzielle Rückgrat der freien Presse und damit ein Garant für publizistische Vielfalt und Unabhängigkeit der Medien. Als erklärungsbedürftiges Produkt ohne eigenständige Verkaufsstellen sind Verlage für ihre Medien auf das Direktmarketing und insbesondere das Telefonmarketing zum Erhalt und Erneuerung ihrer Abonnementleserschaft unbedingt angewiesen. Wenn der Gesetzgeber eine freie und vielfältige Presse will, darf er den Kontakt zu bestehenden oder potenziellen Abonnenten sowie deren Ansprache keinesfalls weiter erschweren. Die Überregulierung auf vielen Feldern schwächt die Wettbewerbsfähigkeit unserer mittelständisch geprägten Branche ohnehin – es wäre allerhöchste Zeit für ein Belastungsmoratorium. 

Die Corona-Pandemie hat auch die Verlagsbranche stark herausgefordert. Welche Anpassungen, zu denen die Pandemiebekämpfung die Verlage zwang, werden nach Ihrer Einschätzung auch über das Ende der Pandemie hinaus Bestand haben?
Es gibt klare Vorstellungen für die Zukunft – unabhängig davon, ob und welcher Form das Corona-Virus bleibt. Die Branche und der MVFP werden sich weiter transformieren, um Leserinnen und Leser bestmöglich mit gedruckter und digitaler Presse zu versorgen und die Interessen der Mitglieder wirkungsvoll zu vertreten. Sicher ist für 86 Prozent der Häuser, dass flexible Homeoffice-Beschäftigung beibehalten wird, 78 Prozent gehen von der Digitalisierung weiterer Geschäftsfelder aus und über die Hälfte planen mit digitalen Veranstaltungsformaten. Im Verband haben wir zum Jahreswechsel die Bürofläche um 50 Prozent reduziert, auf Cloud-Services umgestellt, in den vergangenen zwei Jahren 2.000 digitale Meetings mit rund 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt: davon rund 1.500 Websitzungen unserer Gremien zu Markt- und medienpolitischen Themen. Diese Dynamik nutzen wir, um die Branche wirkungsvoll, fokussiert und effizient in Politik und Gesellschaft zu vertreten.//
 

Die Fragen stellte Stefan Golunski.

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